Rezension: Ronin: A Star Wars Visions Novel von Emma Mieko Candon

Dass George Lucas für Star Wars durch Akira Kurosawas Filme, insbesondere The Hidden Fortress, inspiriert wurde, ist längst bekannt, doch Emma Mieko Candon bringt mit Ronin die zwei Welten in eine neue Symbiose, die uns zwar durch Visions in Kurzfilmen nun angeteasert wurde, jedoch durch den Roman erst zur vollen Blüte kommt. Wer sich einmal auf einen völlig untypischen Star Wars-Roman einlassen und über den Tellerrand des Kanons hinausschauen möchte, der ist hier richtig und wird nicht enttäuscht. Ich möchte zumindest behaupten, dass dieser Roman zu meinen absoluten Favoriten des gesamten Franchise zählt und das obwohl ich sonst eher bei Thrawn und der Hohen Republik zu verorten bin. Der Roman erscheint am 12. Oktober bei Del Rey auf Englisch.

Setting

Egal wie oft man den Vergleich von den Jedi und den Samurai schon gehört hat, die zahlreichen Episoden, die den Sieben Samurai Tribut zollen, und, und, und… Ein kurzes Wort zu dem Setting, das sowohl eine Vielzahl der Filme Kurosawas, als auch Ronin geprägt hat, ist dennoch nötig, vor allem da es der wohl offensichtlichste Einfluss ist. Das Setting, das dem Leser hier in Literaturform begegnet, ist stark durch das Jidai-geki-Genre inspiriert. Jidai-geki ist ein japanisches Filmgenre, das zeitlich vor der Meiji-Ära angesiedelt ist, also noch vor dem Ende der Samurai. Es wird gerne als “Historienfilm” bezeichnet, bringt aber auch viele stilistische Besonderheiten mit sich. Aber um hier nicht zu stark abschweifen kann man sich als den wohl wichtigsten Anhaltspunkt das feudale Japan als Setting merken. Deswegen begegnet uns auch in Ronin ein Universum, das gleich mehrere Aspekte dieser Zeit und dieses Settings widerspiegelt, sei es in Form der Jedi-Clans, Teezeremonien oder der Darstellung der Macht.

Inhalt

Wer sich schon die vorher veröffentlichten fünf Kapitel des Romans durchgelesen hat weiß, dass das Duell aus dem Kurzfilm lediglich zwei Kapitel des Buchs für sich veranschlagt, danach geht die Geschichte in eine ganz andere Richtung weiter. Von dem Überleben Kourus angefangen bis hin zu einer Reise zu fernen Welten, die zugleich von einer spirituellen Reise der Charaktere begleitet wird. 

Schon kurz nach dem Duell mit Kouru trifft der Ronin mit Fox auf eine weitere Hauptfigur. Fox – vom Ronin so genannt wegen der Fuchsmaske, die Fox trägt – ist ein nichtbinärer Charakter und nimmt über weite Strecken des Romans die Rolle der mysteriösen Questgeberfigur ein. Um diese Rezension möglichst spoilerfrei zu halten möchte ich auch gar nicht zu sehr auf Fox eingehen, aber es sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass besonders die Unterhaltungen zwischen Fox und dem Ronin mir sehr viel Freude bereitet haben. Beide versuchen sich immer wieder aus der Reserve zu locken, aber noch viel wichtiger, sie urteilen nicht übereinander. Der Fokus liegt in Ronin niemals auf Schuldzuweisungen, sogar eine recht große Enthüllung gegen Ende, wird mit überraschend viel Gelassenheit aufgenommen. Eine kurze Randnotiz hier: Ich bin sehr gespannt darauf wie die hoffentlich erfolgende Übersetzung des Romans mit Fox umgeht. Bisher sind die wenigen nichtbinären Charaktere im Deutschen ja eher katastrophal weggekommen, aber mit Fox haben wir nun einen sehr viel prominenteren Charakter. Spätestens da muss man sich endlich mal dazu aufraffen, sich festzulegen, wie man das englische “they” im Deutschen übersetzt, um die Identität von Fox nicht einfach unter den Tisch zu kehren.

Zurück zur Handlung: wir begegnen noch einmal Kouru, die nun wiedererweckt worden ist und ähnlich dem Ronin auch eine Stimme hören kann. Sie stellt den Ronin und klaut ihm auch noch sein Lichtschwert, bevor er mit Fox, einer alten Dame namens Chie und der Pilotin Ekiya an Bord von deren Schiff Poor Crow fliehen kann. Dort enthüllt Fox kurz darauf den eigentlichen Plan und warum das Trio dem Ronin überhaupt geholfen hat. Diese kunterbunte Truppe begibt sich auf die Reise, um ein altes Artefakt zu finden, das dabei helfen soll die nur als “Hexe” bekannte Antagonistin zu töten. Neben dem wundervoll inszenierten Rundflug auf Dekien lernen wir auch etwas mehr über die Charaktere, darunter Ekiya, die Pilotin der Poor Crow. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kyber-Kristalle, in denen sie die Geister von verstorbenen Jedi innewohnen sieht, zu sammeln. Fox hält sich weiterhin bedeckt und ebenso möchte auch ich nicht zu viel von der Handlung verraten. Denn einer der großen Pluspunkte von Ronin ist auch das absolute Unwissen was wohl als nächstes passieren wird. Bei den meisten Star Wars-Romanen behaupte ich, dass man als Leser schon eine gewisse Richtung erahnen kann, sei es durch die Verbindungen in der doch nicht so großen Galaxis oder auch weil sich gewisse Erzählelemente einfach etabliert haben. Das möchte ich auch gar nicht als negativ werten, aber was Ronin angeht, so wurde ich jedes Mal aufs Neue überrascht, als sich ungeahnte Wendungen ereigneten.

Charaktere

Der Roman bietet dem Leser eine schillernde Bandbreite an Personen, die verschiedenste Lebenswege gegangen sind. Jeder der Charaktere hat seine eigene Motivation, an dem Plan von Fox teilzunehmen und dabei scheinen sich auch nicht alle grün zu sein. Doch was Emma Mieko Candon vor allem hervorragend beschreibt ist die eigene Skepsis und das Hinterfragen der eigenen Taten und Ziele der Charaktere. Die meiste Zeit verbringt der Leser in den Gedanken des Ronins, nicht zuletzt, um auch die durchaus amüsanten und süffisanten Wortgefechte mit der ihn begleitenden Stimme zu erleben. Aber gerade der Ronin steckt die ganze Zeit über in einer Sinnkrise, die ihn gewissermaßen von einer Situation in die nächste stolpern lässt. Zwar schließt er sich der Gruppe an und weiß recht bald, dass es Fox um die Vernichtung der Hexe geht, doch er ist nicht sicher ob er selbst das überhaupt möchte. Ekiya weiß nicht ob sie mit dem Sammeln der Kyber-Kristalle nicht einen Fehler begeht. Kouru, auf die der Leser dann mehrfach wieder trifft, wird einerseits von der Rache für ihren vorigen Tod getrieben, andererseits stellt sie sich wiederholt der Frage, wie frei sie denn überhaupt ist, wenn sie von der Hexe wiedererweckt worden ist. Und Chie darf sich etwas später fragen, ob ihre Loyalität nicht erst ein Problem verursacht hat, anstatt es zu lösen.

Überhaupt ist Loyalität ebenso eines der zentralen Themen des Romans. Welche Loyalität steht höher? Die gegenüber eines Kodex’ oder eines Herrn? Ein zentrales Problem, das in vielen Jidai-geki-Filmen ebenfalls aufgegriffen wird, in denen die Loyalität zwischen dem Kodex der Samurai und ihren Herren zu Sinnkrisen führt. So ist es auch in Ronin erst dieser Gedanke, der bereits zur Prämisse der Handlung geführt hat. Die Rebellion einiger Jedi, die sich fortan Sith nannten, fußt nicht auf der Gier nach Macht oder Reichtum. Im Gegenteil, auch unter einigen Jedi, die im Roman auftauchen, herrscht das Bewusstsein vor, dass die Unzufriedenheit der Sith nicht grundlos war. Die Jedi schienen ihren ursprünglichen Zweck verloren zu haben und immer mehr einem System zu dienen, anstatt den Wesen, die in ihm leben. Ein schöner Spiegel für den Jedi-Orden der Prequel-Ära übrigens. Aber jeder der Charaktere in Ronin, sogar zahlreiche Randcharaktere, plagen sich mit der Frage der Loyalität. Soll man einem Ideal loyal bleiben, einem einstigen oder jetzigen Herren, einer ehemaligen Liebe womöglich oder vielleicht der Person, die einen wiedererweckt hat? Emma Mieko Candons Antworten hierauf dürften den ein oder anderen überraschen, doch da will ich nicht zu viel verraten.

Daoismus und die Macht

Zuletzt möchte ich auch noch kurz auf einen anderen Aspekt des Romans eingehen, der etwas mehr ins Spirituelle bzw. Mystische geht, und zwar die Darstellung der Macht. Schon in Visions konnte man verschiedene Interpretationen sehen, wie beispielsweise die Magina in Die Braut des Dorfes. In Ronin wird die Macht in Formen einer schwarzen Strömung (original: black current) und einem weißen Auflodern (original: white flare) beschrieben. Dabei ist keine der beiden Formen negativ oder positiv konnotiert, vielmehr ergänzen sie sich. Der Einfluss des Daoismus ist hier stark spürbar, das was vielen wohl am gängigsten durch das Yin und Yang bekannt ist. Dabei ergänzt das schwarze Yin als das passive Element das weiße, aktive Yang. Und genau dieses Prinzip spiegelt sich in den Charakteren von Ronin wider. Es ist hier keine helle und dunkle Seite der Macht, die einander bekämpfen, sondern zwei Aspekte, die einander ergänzen. Und auch einige der Charaktere erkennen im Verlauf der Handlung, dass erst ihre Zusammenarbeit mit scheinbaren Gegnern zum Erfolg führt.

Fazit

Ich kann diesen Roman nicht genug loben. Ronin ist nicht nur ein frischer Wind im Star Wars-Universum, ganz egal ob kanonisch oder nicht. Nein, er öffnet die Tür für eine ganze Bandbreite neuer Sichtweisen und Ideen. Er ist zugleich eine Homage an die Inspiration für Star Wars, wie auch die Popkultur-Wirkung die seinerseits Star Wars mit sich gebracht hat. Emma Mieko Candon hat es geschafft, aus einem Kurzfilm eine Welt und eine Geschichte zu erschaffen, die ihresgleichen sucht. Das zeigt sich auch in meinen sicherlich etwas sprunghaften Gedanken in dieser Rezension, aber eines kann ich klar und deutlich sagen: Lest Ronin! Und schreibt gerne in die Kommentare wie ihr den Roman fandet. Was hat euch am meisten fasziniert oder überrascht?

Wir danken Del Rey für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

6 Kommentare

  1. Ich kann mich Janina in vielen Punkten nur anschließen. Der Schreibstil ist wirklich sehr erfrischend und das Buch bietet Star Wars durch eine Linse, wie wir sie noch nicht gesehen haben – wie auch der Anime schon. Aber wohingegen ich den Kurzfilm „The Duel“ nur mittelmäßig fand und seiner ruckligen auf 2D getrimmten 3D-Animation nur wenig abgewinnen konnte (trotz genialer Kolorierung), brilliert Autor*in Emma Mieko Candon mit narrativen Experimenten, die gekonnt Star Wars mit traditionellen japanischen Erzählweisen kombinieren. Zugegebenermaßen wurde mir der dritte Akt dann etwas zu abgefahren und das etwas klischeehafte Ende ist wohl wirklich nur etwas für erfahrene Liebhaber jenes Kulturkreises, zu welchen ich mich nicht zählen kann, aber der Weg dahin lohnt sich. Auch in puncto Repräsentation – welche nie zu vernachlässigen ist – liefert Ronin einige „Firsts“ für Star Wars, und das auf eindeutige und zugleich sehr natürliche Art und Weise im Laufe der Erzählung.

    Was mir noch aufgefallen ist war der Umgang mit Namen. Viele Figuren – nicht zuletzt der Titelcharakter – haben keine „richtigen“ Namen bzw. gleich mehrere (Pseudonyme, Spitznamen, selbstgewählte Namen, Geburtsnamen…). Dieser Umgang mit Namen ist mir aus kurzen Kontakten mit der chinesischen Kultur bekannt – ich vermute, Japan ist da ähnlich? (@Janina, du kennst dich ja aus – vielleicht ein Wort dazu?) Passt auf jeden Fall auch gut zu Star Wars, wo Figuren seit 1977 immer wieder neue Namen wählen: Obi-Wan/Ben, die ganzen Darths, Ben/Kylo…

    Etwas gestört hat mich die doch sehr kleine Galaxis in diesem Roman, wobei man hier sagen muss, dass das von Autor*innenseite wohl alles war, was für den Roman benötigt wurde, welcher ohnehin schon viel Worldbuilding betreibt. Ein „Galaxybuilding“, das über die notwendigen Schauplätze hinausgeht, wäre wohl zu viel gewesen. Aber letztlich fühlt sich die Galaxis eher wie zwei, drei Sonnensysteme an, da sich jeder irgendwie zu kennen scheint und alles halbwegs in Flugreichweite liegt (selbst ohne Hyperantrieb), aber da mag ich mich täuschen. Auch hätte ich mir mehr Spezies/Aliens gewünscht, die hier nur in Nebenrollen und kurzen Erwähnungen auftauchen. Über das herrschende Imperium und dessen interne politische Probleme hätte ich auch gern mehr erfahren, aber ich hatte auch das Gefühl, dass jenes Setting einer bestimmten Periode Japans nachempfunden war, übergebe hier aber auch zur Einschätzung an unsere Rezensentin. 🙂

    Alles in allem ein schönes Buch, dessen Grundsetting mir sehr für eine Ära der Alten Republik gefallen würde, wenngleich dann natürlich mit mehr bekannten Planeten und einer größeren Galaxis. Die politische Konstellation war aber sehr spannend und bietet auf jeden Fall Raum für weitere Erkundung. Ähnliches lässt sich auch über manche Folgen von Star Wars: Visions selbst sagen, z.B. The Ninth Jedi oder The Elder.

    Ich würde es bevorzugen, wenn künftige kulturelle Ausflüge von Star Wars (ähnlich wie Vow of Silver Dawn) teil der offiziellen Kontinuität sind und diese entsprechend bereichern. Dennoch ist gegen gelegentliche Ausflüge darüber hinaus – wie mit LEGO Star Wars, Visions oder Ronin – nichts einzuwenden und gelegentlich würde ich auch mehr davon lesen.

    1. Zitat: „Alles in allem ein schönes Buch, dessen Grundsetting mir sehr für eine Ära der Alten Republik gefallen würde…“

      Stimme dir da absolut zu. Das beschriebene erinnert mich ein wenig an den Je’daii-Orden. So ein Setting was tausende Jahre vor VSY spielt, wäre für den Kanon wünschenswert. Dabei muss es dann nicht sofort Gut gegen Böse gehen, sondern wie dunkle und helle Machtnutzer in einem Orden, zusammenarbeiten um irgendeine Aufgabe zu erfüllen. Ich glaube das so ein Setting sehr interessant wäre, weil es nicht Stererotypisch ist.

    2. Ein interessanter Punkt was die Namen angeht, ich habe das tatsächlich vorrangig an der Handlung festgemacht, damit über die Charaktere nicht zu früh zu viel verraten wird, gerade die zwei einschlägigen. Das mit den oft englischen Spitznamen kenne ich auch vor allem von chinesischen Mitstudenten. Soweit es mir bisher gesagt worden ist, liegt es da aber wohl oft mehr an der mangelnden Aussprachefähigkeit des eigentlichen Namen hierzulande (oder auch im amerikanischen Raum). Das habe ich allerdings bisher noch nicht im japanischen Sprachraum erlebt, da das japanische bei weitem nicht so tonal genau in der Aussprache ist wie z.B. Mandarin. Disclaimer: Ich kann hier nur vorsichtige Vermutungen anstellen, durch Sprachkontakte und Freunde, aber natürlich keine fundierte und fachliche Aussage treffen.
      Eine genaue Periode ist durch die Vermischung mit Star Wars natürlich auch reine Spekulation, aber es passt definitiv am besten in die Edo-Zeit, aus der uns hierzulande vermutlich das Tokugawa-Shogunat mit den unterstellten Daimyōs, den lokalen Herren, bekannt ist.
      Ich stimme dir auch soweit zu, dass ich mich natürlich genauso freuen würde, wenn zukünftige kulturelle Ausflüge auch teil der offiziellen Kontinuität sind. Ich bin da für beide Optionen offen. 🙂

  2. Erst einmal Respekt an die Rezesnion. Dein Hintergrundwissen beleuchtet teile des Buches, worüber ich mir im Normalfall keine Gedanken machen würde. Eine gut gelungene Rezension.

    Falls das Buch auf deutsch erscheinen würde, würde ich es auch lesen. Ich kann mir aber im Gegensatz zu dir, nicht vorstellen, dass das Buch auf Deutsch übersetzt wird. Ich denke dafür ist das Buch leider zu nischig.

    1. Vielen Dank dir! Ich stimme dir zu, die Wahrscheinlichkeit für eine Übersetzung ist natürlich angesichts der Nische eher gering, da habe ich definitiv mehr Wunschdenken als tatsächliche Hoffnung.

  3. Bin erst in den ersten Kapiteln.
    Ist das erste SW Buch seit Phasma das ich als HC und nicht als eBook lese.
    Als erstes ist mir aufgefallen das die dust jacket richtig klasse aussieht und eine tolle Textur hat. Bin richtig froh zum HC gegriffen zu haben.

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